Zum ersten Mal findet heute das Buchgeflüster
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statt, das von
Tine und mir gemeinsam ins Leben gerufen wurde. Die Buchmesse
steht kurz vor der Tür, am Freitag wird dort der Deutsche Jugendliteraturpreis
vergeben, mit dem wir uns in diesem Buchgeflüster näher beschäftigen wollen.
Der Deutsche Jugendliteraturpreis wird insgesamt in fünf Sparten vergeben, dazu
gibt es noch einen Sonderpreis. Wir haben uns in diesem Jahr mit den Büchern
auseinander gesetzt, die in der Sparte „Jugendbuch“ und „Jugendjury“ im nominiert wurden. Der Preis der letzteren
Sparte wird im Unterschied zu den anderen Sparten nicht von Erwachsenen,
sondern von jugendlichen Lesern vergeben. Ausführliche Infos zum Preis und zur
Jury findet man auf der Seite des DJLP.
Tine: Ich würde sagen, wir beginnen mal mit den nominierten
Büchern aus der Sparte "Jugendbuch". Welche davon hast du denn
gelesen und wie war dein Eindruck dazu?
Ich habe
"Die Sprache des Wassers",
"12things to do before you crash and burn" und
"Wie einunsichtbares Band" gelesen.
Ich finde, dass alle drei Bücher zu Recht auf der Liste stehen. Inhaltlich wie
sprachlich unterschieden sie sich sehr stark voneinander. Eine Gemeinsamkeit
aller drei Bücher ist die erste Liebe. Herc, der Held aus
"12 things to
do before you crash and burn" verliebt sich - wie es für ihn typisch
ist - relativ kurz entschlossen und plötzlich. Marito und Alma, die
Protagonisten aus
"Wie ein unsichtbares Band" kennen sich
schon von Kind an. Ihre Liebe ist ein Entwicklungsprozess, der jedoch von
Eifersucht belastet ist, denn eigentlich waren sie als Kinder immer zu dritt.
Kasienka aus
"Die Sprache des Wassers" ist ein sympathisches
junges Mädchen, das in der Schule zum ersten Mal einen Jungen toll findet.
Sicher eine Liebe, mit der sich viele Gleichaltrige identifizieren können.
Nanni: Welche hast du gelesen und wie haben sie dir gefallen?
In der Kategorie habe ich nur zwei Bücher gelesen:
"Über ein Mädchen" von Joanne Hornimann und
"Tigermilch"
von Stefanie de Valesco. Sprachlich gesehen sind beide sehr einnehmend, aber
auch grundverschieden.
"Tigermilch" ist sehr viel
anspruchsvoller und meiner Meinung nach nicht nur aus diesem Grund eher für
ältere Jugendliche gedacht. Es ist ein hartes, schonungsloses Buch, das mir
zwar auch gut gefallen hat, stellenweise aber zu extrem war. Die Probleme der
beiden Freundinnen Nini und Jameelah häufen sich für mein Dafürhalten etwas zu
sehr, so dass die Handlung an ihrer Glaubwürdigkeit verliert.
„Über ein Mädchen“ hat mich sehr berührt, denn es
beschreibt unheimlich direkt und ehrlich die Liebe von Anna zu ihrer Freundin
Flynn mit all ihren Facetten: vom ersten Kennenlernen über das erste richtige
Date bis hin zum Liebeskummer.
Tine: Kannst du beschreiben, was für dich jeweils das Besondere
an den drei Büchern war? Wenn eines der drei den Preis gewinnen würde, was wäre
dann deine Begründung?
Das "Besondere", das "gewisse Etwas" ist
bei jedem Buch unterschiedlich. "12 things to do before you crash and burn" hat mich total gut unterhalten. Es ist
ziemlich dünn und ich habe es in einem Rutsch durchgelesen. Immer wieder hat
mich Herc zum Schmunzeln gebracht mit seinen - teils verrückten – Ideen, seine
Ferienaufgaben abzuarbeiten. Er erlebt den Sommer seines Lebens, macht einen
großen Schritt auf dem Weg zum Erwachsenwerden, was der Autor in kurzen
Kapiteln knackig auf den Punkt bringt. Herc ist das was den Roman ausmacht.
"Wie ein unsichtbares Band" ist ein sehr bewegendes Buch. Es
spielt während des Militärputsches in Argentinien und hat daher einen
politischen Hintergrund. Bei diesem Buch habe ich am Ende echt geweint, weil es
mich so berührt hat, wofür nicht nur die Geschichte, sondern auch die
wundervolle Schreibe der Autorin verantwortlich ist. "Poetisch und
kraftvoll", so beschreibe ich es in meiner Rezi, erzählt sie von
Jugendlichen, die der Willkür der Diktatur ausgesetzt sind, die keine
festgelegten Rechte haben, die sie schützen. Trotzdem bieten ihnen ihre
Familien die Möglichkeit eine tolle Kindheit zu erleben. Dieser Roman ist
wirklich beeindruckend und mein persönlicher Favorit.
Allerdings spricht er - ganz realistisch gesehen - sicher weniger Leser an, als
"Die Sprache des Wassers". Ebenfalls ein sehr rührender Roman,
der ans Herz geht. Traurig, aber auch glücklich macht. Protagonistin Kasienka
zieht mit ihrer Mutter von Polen nach England, weil der Vater die Familie
verlassen hat und dorthin abgehauen ist. Nun hat Kasienka Zuhause eine traurige
Mama und in der Schule ist sie eine Außenseiterin. Thema Trennung, Migration
und Mobbing werden hier hervorragend verflochten. Autorin Sarah Crossan benutzt
dazu eine wunderschöne Sprache, die der Verlag ganz toll in Form gebracht hat.
Ich habe mir dort etliche Zitate markiert, die ich mir unbedingt aufbewahren
möchte. Ihr würde ich den Sieg auch sehr gönnen, denn es ist ein Roman, der sich
mit alltäglichen Problemen beschäftigt und vielleicht sogar einige Mädchen
ermutigen kann.
Nanni: Was sollte ein Buch, das auf der Liste des DJLP landet
unbedingt ausmachen? Was wäre für dich ein Kritikpunkt ein Buch zu nominieren?
Meiner Meinung nach sollte ein Buch, das auf dieser Liste
landet vor allem eines: Spaß am Lesen erwecken. Wir Erwachsenen neigen oft
dazu, Jugendbücher gut zu finden, die eine besondere Lehre aufweisen, auch wenn
sie vielleicht nicht explizit so genannt wird. Viel wichtiger ist es doch
eigentlich, dass Jugendliche durch Bücher erfahren, wie schön es ist, in fremde
Welten abzutauchen, mit geliebten Protagonisten mitzuleiden und am Ende
erleichtert aufzuatmen. Ich glaube, dass dann die Idee, sich auch literarisch
mit schwierigen Themen, wie sie beispielsweise in "Tigermilch“
behandelt werden, auseinander zu setzen, ganz von alleine kommt. Ein gelungenes
Beispiel für so ein Buch ist meiner Meinung nach "Erebos", das
2011 den DJLP in der Sparte "Jugendjury" gewonnen hat.
Grundsätzlich kann man sich ja über Geschmack streiten, so
dass ich wenig Einschränkungen machen möchte, welche Bücher es verdienen auf
die Liste zu kommen und welche nicht. Es gibt sicherlich viele ganz
unterschiedliche Gründe, die für das eine oder das andere Buch sprechen. Ich
persönlich würde aber sehr aufmerksam und vorsichtig sein, wenn es um
gewaltverherrlichende oder diskriminierende Bücher geht. Selbstverständlich
kann man als aufmerksamer Leser, der Dinge und Situationen hinterfragt, auch
aus solcher Literatur etwas mitnehmen, aber nicht jeder jugendliche Leser ist
emotional schon soweit und nicht jeder junge Leser hat zuhause jemanden, mit
dem man über gelesene Themen sprechen und sie dadurch verarbeiten kann.
Tine: Bei welchem der von dir gelesenen Bücher hattest du den
größten Redebedarf?
Den hatte ich bei "Wie ein unsichtbares Band".
Ich habe mich sowohl mit der Pressemitarbeiterin, als auch mit der Bloggerin
Damaris von Damaris liest ausgiebig darüber ausgetauscht. Ich denke der Roman
soll zum Reden anregen. Tot geschwiegen wird zu diesem Thema schon genug.
Nanni: Kommen wir zu den Nominierungen der Jugendjury. Du hast
dich mit all den nominierten Büchern auseinandergesetzt. Kannst du uns einen
kurzen Einblick verschaffen?
Von den nominierten Büchern habe ich fünf ganz gelesen. Bei „Alles
– Was zählt“ von Janne Teller habe ich nur in die Leseprobe rein
geblättert, da mir „Nichts – Was im Leben wichtig ist“ von ihr damals
nicht so gut gefiel.
„Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket“ ist
ein unterhaltsames Buch über das Anderssein. Mir hat hier die Art und Weise,
wie das thematisiert wurde, besonders gut gefallen: Barnaby hat nämlich nicht
eine andere Hautfarbe, Religion oder sexuelle Gesinnung, sondern unterscheidet
sich von anderen dadurch, dass er dauerhaft schwebt. Allerdings würde ich das
Buch eher als Kinder- und nicht als Jugendbuch sehen.
„Wunder“ habe ich schon im letzten Jahr gelesen und
als Herzensbuch von mir bereits einmal verschenkt. Auch hier geht es um das Thema anders sein, allerdings
hat es mich sehr viel mehr berührt. Wie gesagt: ein Herzensbuch von mir.
„2084 – Noras Welt“ hat mich enttäuscht. Es hat zwar
eine wichtige inhaltliche Grundaussage, aber mehr auch nicht. Nur mit der –
definitiv wichtigen – Warnung, dass man Verantwortung für unseren Planeten
trägt, kann man eben kein Buch füllen.
„Die Nacht gehört dem Drachen“ hat mich etwas
zwiespältig zurückgelassen. Mir hat richtig gut gefallen, wie sensibel hier mit
dem Thema Missbrauch umgegangen wurde. Andere Szenen konnten mich dann aber gar
nicht berühren, so dass ich dazu geneigt war, sie zu überblättern.
Den Abschluss der Nominiertenliste bildet die erste Graphic
Novel, die ich jemals gelesen habe:
„Wie ein leeres Blatt“. Die Geschichte zu lesen und von den
Zeichnungen noch ein Mal ganz andere Eindrücke zu bekommen, war ein besonderes
Erlebnis, ich weiß aber nicht, ob ich dafür nicht eher einen separaten Preis
verleihen würde.
Tine: Wenn du meine Eindrücke jetzt liest: Welches der Bücher
könnte ein Favorit der Jugendjury sein und warum?
Mmmh, schwer zu sagen. Ich bin ja ein großer Fan von John
Boyne, habe das Buch ebenfalls (bisher noch ungelesen) im Regal und weiß, dass
er tolle, berührende Geschichten schreiben kann. "Wunder" hast
du mir auch schon so oft empfohlen, dass ich es in meinem Kopf bereits als
tolles Buch gespeichert. Aber auch der Inhalt klingt sehr ansprechend. Dass ein
Buch zum Thema Missbrauch nominiert ist, finde ich auch sehr spannend. An
meiner Arbeit habe ich leider vermehrt mit dem Thema zu tun und finde es
wichtig, dass Kinder und Jugendliche aufgeklärt werden, wissen, dass sie keine
Schuld tragen und damit nicht allein sind. Für mich ist aber nicht nur das
Thema des Buches, das den Preis bekommen sollte, wichtig, sondern auch die
Sprache, die Art des Autors zu schreiben. Dafür müsste ich dann wohl doch
selbst rein lesen.
Nanni: Wenn du die Bücher nun so betrachtest und dich ein
bisschen zurückerinnerst, hättest du als Jugendliche eine ähnliche Meinung?
Puh, das kann ich ganz schwer sagen. Ich habe als Kind
eigentlich gar keine typischen Jugendbücher gelesen. Anfangs viele
Kinderbücher oder eben Bücher für sehr
junge Jugendliche (vieles von Enid Blyton, „Die drei ???“ usw. - das
typische eben) und dann ging es fast nahtlos über zu Erwachsenenbüchern. Gab es
zu unserer Zeit überhaupt schon so explizit die Sparte des Jugendbuches? Ich
vermute, ich hätte damals „12 Things To Do Before You Crash and Burn“ am
besten gefunden, eben weil es so unterhaltsam und witzig ist, und, wenn ich es
richtig verstanden habe, kaum schwierige Themen behandelt.