17.05.24

Sommer ist meine Lieblingsfarbe | Claudia Schaumann




Ava ist 43 und hat alles, wovon sie immer geträumt hat: einen tollen Mann, drei bezaubernde Kinder, drei Hühner und ein wunderschönes Haus in Hamburg Vierlanden, gleich hinter dem Deich. Dennoch fragt sie sich in letzter Zeit immer öfter, ob das schon alles war und ob sie wirklich glücklich ist. Oder ist sie irgendwo falsch abgebogen? Als sie völlig unerwartet eine Nachricht von ihrem Ex-Freund Pinto erhält, wirbelt das ihren Alltag ganz schön durcheinander. Ava entdeckt das Kribbeln im Bauch und ihre Leidenschaft für Farbe und alte Möbel wieder. Und verliebt sich noch einmal ganz neu. In sich selbst – und in ihren Traummann ...
(Text & Cover: Penguin Randomhouse; Foto: N. Eppner)

Ava ist Mutter von drei Söhnen, kümmert sich um Haus, Garten, Kinder, den viel arbeitenden Mann und alles, was zur Care Arbeit dazugehört. Ava ist eine von uns.

Schnell habe ich mich in Protagonistin Ava wiedergefunden. Der Struggle damit eine gute Mutter zu sein, alle dazugehörigen gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen, wie z.B. Schulfest oder Laternebasteln im Kindergarten, und die Kinder immer emotional aufzufangen und zu unterstützen. So viel Arbeit, die weder gesehen, noch bezahlt wird und auch nur selten von "die Liebe der Kinder gibt mir so viel" ausgeglichen wird. Ein Mann, der selbst und ständig arbeitet und selbst die an ihn gestellten strukturellen Anforderungen erfüllen möchte, indem er der Hauptverdiener der Familie ist und dieser ein möglichst gutes Leben bieten möchte.

Der Spagat zwischen all diesen Rollen - Mutter, Arbeitnehmende, Ehefrau usw. - ist so anstrengend, dass es schnell passiert, dass wir uns selbst aus den Augen verlieren. So ergeht es auch Ava, deren Kreativität, mit der sie früher Geld verdient hat und die ihr so viel gibt, darunter völlig begraben liegt. Kein Wunder, dass sie absolut frustriert ist und diese Frustration mit in ihre Beziehungen trägt.

Umso verlockender ist es, dass sich neuerdings ihr Ex-Freund Pinto bei ihr meldet und um ein Treffen bittet. Pinto, bedeutet Abstand vom Alltag, bedeutet Spannung und vor allem Leichtigkeit. Eine Leichtigkeit, die Ava im Alltag gerade fehlt und ganz besonders in ihrer Beziehung zu ihrem Mann. Aber bedeutet das auch, dass ihre Ehe gescheitert ist und sie ihren Mann nicht mehr liebt? 

"Sommer ist meine Lieblingsfarbe" hat mich absolut begeistert. Eine Geschichte, die so sehr aus dem Leben gegriffen ist. Ohne Verschnörkelung und Beschönigungen zeichnet Claudia Schaumann das Bild einer Mutter, wie es heute an der Tagesordnung ist. Getrieben von gesellschaftlichen Anforderungen, im Spagat mit den eigenen Bedürfnissen und denen der Familie, ohne dass äußere Strukturen dem angepasst worden sind, was für uns alle Kampf und Krampf bedeutet: nämlich alles unter einen Hut zu bringen. Es ist kein Wunder, dass unsere Beziehungen, egal welcher Natur, darunter leiden. Es ist einfach nicht alles machbar und wir müssen auch nicht so tun, als ob. Zweifel, Ängste, Wut und Frust sind an der Tagesordnung. Und andererseits ist es meist unsere eigene Entscheidung wie wir damit umgehen.

Und genau das bringt Claudia Schaumann in ihrem Roman so wunderbar auf den Punkt. In einer lesenswerten Kombination aus Leichtigkeit und gleichzeitig ernst nehmen und aufmerksam machen auf eine Situation, der so viele Frauen ausgesetzt sind. Der perfekte Sommerroman, um sich unterhalten zu lassen, aber auch gleichzeitig zu reflektieren, wo wir selbst stehen und an welchem Rädchen wir drehen können, um eine Veränderung herbei zu führen.


Buchinfo:

464 Seiten
Taschenbuch 13,00 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner

03.05.24

Und alle so still | Mareike Fallwickl





An einem Sonntag im Juni gerät die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper über Wasser zu halten. Ruth, Mitte fünfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren Pflichtgefühl unerschöpflich scheint.

Es ist der Beginn einer Revolte, bei der Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben. Plötzlich steht alles infrage, worauf unser System fußt. Ergreifen Elin, Nuri und Ruth die Chance auf Veränderung?

(Text & Cover: Rowohlt Verlag, Foto: L. Eppner) 


Es sind Frauen, für die ich Coachings anbiete, und pädagogische Fachkräfte. Es ist nicht nur die Not des Personalmangels, die ich dort sehe und auch in meinem eigenen pädagogischen Arbeitsfeld spüre, sondern auch die Not der Frauen, die eingeengt werden, denen das Korsett des Patriarchats, unter anderem in Form von Glaubenssätzen, die Luft abschnürt. 

Eine Mutter muss für ihre Kinder da sein. Das ist Frauenarbeit. Frauen gehören an den Herd. Wer den Haushalt nicht ordentlich führt, ist keine richtige Frau. Wer keine Kinder möchte, ist keine richtige Frau. Wer das Kind per Kaiserschnitt bekommen hat, hat sich nicht genug angestrengt. Wer keinen Mann hat, keine Kinder bekommen konnte, hat sich nicht richtig angestrengt. Wer keine richtige Frau ist und sich nicht richtig anstrengt ist wertlos. 

Das ist nur ein kleiner Auszug dieser Glaubenssätze. Innere Kritiker, die uns Frauen dazu ermuntern uns aufzuopfern. Kleine Teufel, die verlangen, das wir uns verleugnen, alles hinnehmen, was männliche Strukturen uns auferlegen. Ohne den Mund aufzumachen oder noch besser, ohne den Mund gegen diese Strukturen aufzumachen, aber unbedingt gegen andere Frauen. Uns in Konkurrenz zu ihnen sehen. Gegenseitig unter Druck setzen, niedermachen bis wir daran erkranken. Denn Frauengruppen haben eine Stärke, die vom Patriarchat gefürchtet wird.

Das zeigt Mareike in ihrem neusten Roman "Und alle so still", der aktueller nicht sein könnte. Fachkräftemangel in den Care Berufen, weil alle ausgebrannt sind und Frauen, die sich dem entgegen stellen. Oder auch einfach nur zu erschöpft sind, um überhaupt wieder aufzustehen. Ein Gefühl, das jede Mutter, jede Ehefrau, jede Partnerin, jede Pflegekraft, jede pädagogische Fachkraft, kennt.

Mareike zoomt drei verschiedene Biografien aus der Masse. Ruth, die von ihrer Mutter das Pflichtgefühl übernommen hat, weil einer die Drecksarbeit machen muss. Die gelernt hat, dass frau sich nicht zur Wehr setzt und leise und brav alle Aufgaben erfüllt. Nur nicht aus der Reihe tanzen, nur nicht auffallen mit dem Kind, das anders ist, als die anderen und einen Lebensstil erfordert, der körperlich wie geistig erschöpft. Nur nicht klagen. Andere bekommen gar kein Kind. Eben solch ein Leben führt auch Nuris Mutter und er wünscht sich, sie wäre daraus ausgebrochen. Hätte zeigen können was Stärke wirklich bedeutet, um es dann an ihn weiterzugeben. Den Vater dazu bewegen können ein besseres männliches Vorbild zu sein, um vermitteln zu können, dass Stärke nicht bedeutet als Mann keine Gefühle zu zeigen und den ganzen Tag zu schuften, um abends schweigend und erschöpft von der Familie einzufordern, was Familienverbundenheit zum Verstummen bringt. Elins Mutter war anders. Anders als die meisten Mütter. Sie wünscht sich Selbstbestimmung und eine Kämpferin. Doch Elin fühlt sich einsam. Zu allein, um zu kämpfen. Sie braucht Verbindung zu anderen, um sich mit sich selbst verbinden zu können. Und die findet sie. In den Frauen, die dort auf der Straße liegen, wo sie zu erschöpft waren, um aufzustehen oder um zu zeigen was Frauen gemeinsam bewegen können.

Ich habe alle Bücher von Mareike gelesen und bin immer wieder geflasht davon, wie sie immer noch eins oben drauf legt. Sprachlich fand ich "Und alle so still" bombastisch. Inhaltlich eh. Mareike ist ein Vorbild. Eine, an der wir uns orientieren können, wenn wir verunsichert werden. Messerscharf stößt sie ihre Worte bis tief ins Innere. Ich hatte durchweg einen dicken Kloß im Hals und Gänsehaut. Stellenweise habe ich geweint, weil ich all diese Dinge, die im Roman beschrieben werden, so sehr fühle. Bei mir selbst und auch bei den Frauen, mit denen ich arbeite. 

Ich wünsche mir, dass alle dieses Buch lesen. Um zu verstehen. Denn verstehen ist die erste Station auf dem Weg zur Veränderung. Und um ihre Wut in Energie umzusetzen. Um zu kämpfen. Um sich selbst und für andere.


Buchinfo:

Rowohlt (2024)
368 Seiten
Hardcover 23,00 €

Buch Merch
(wie z.B. das T-Shirt vom Foto)


Rezension: Copyright 2024, Nanni Eppner

27.03.24

Sirius | Jonathan Crown



 

Ein außergewöhnlicher Zeitzeuge meldet sich zu Wort: der kleine Foxterrier Sirius. Er wird ins Berlin des Jahres 1938 hineingeboren, als jüdischer Hund im Haushalt der Familie Liliencron. Dies ist seine Lebensgeschichte, angefangen bei den November-Pogromen bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Weltgeschichte – und mittendrin Sirius, der unfreiwillige Held. Erst ist er Emigrant, dann Hollywoodstar, später Zirkusattraktion und schließlich Hitlers Schoßhund. Was für ein Schicksal!

Er trifft sie alle, die Reichen, Schönen, Mächtigen: Fred Astaire, Marlene Dietrich, Billy Wilder, Peter Lorre, Conrad Hilton, Jack Warner, Rita Hayworth, Cary Grant, Eva Braun, John Wayne, Albert Speer, Professor Sauerbruch, Frank Sinatra, Hermann Göring, Fritz Lang, Winston Churchill u.v.a.m.
(Text & Cover: KiWi; Foto: N. Eppner)

Auf Sirius bin ich dank Christine Westermann und Mona Ameziane und ihren Podcast "Zwei Seiten" gestoßen. "Das perfekte Buchgeschenk, insbesondere für Hundeliebhaber*innen", darüber waren die beiden sich einig. Ich verschenkte also und bat darum es nach beenden selbst lesen zu dürfen. 

Die Beschenkte hatte hart daran zu knabbern. Ich wollte ihr eine Freude in einer schweren Zeit machen, aber es war für sie nicht immer einfach, den zweiten Weltkrieg zu ertragen. "Ein Buch das auch Hoffnung gibt", hatte ich Christine Westermanns Stimme im Ohr. Sollte das doch nicht so sein?

Am Sonntag begann ich den Roman, der feine 300 Seiten umfasst und las mich durch die ersten hundert direkt am Stück durch. Was für eine intelligent lässige Sprache, was für ein großartiger ironischer Humor. Kurze griffige Abschnitte. Ganz nach meinem Geschmack. Ich mag es, wenn sich Schreibende der Ironie bedienen, um Tragik und Irrsinn eines Themas zu verdeutlichen. Und wo begegnet uns mehr Tragik und Irrsinn, als im zweiten Weltkrieg? Diese abstrusen Ansichten Hitlers eines sauberen, klugen, besseren Volkes - es ist immer wieder unbegreiflich warum Menschen diese Ideologien für ernst nehmen und ihnen Glauben schenken.

Mit Hilfe von Sirius, der als jüdischer Hund geboren, seinen Namen ändern und fliehen muss, aber zum Held mehrerer Stunden wird, zeichnet Crown ein sarkastisches Bild einer gleichzeitig dunklen, sowie schillernden Ära der Weltgeschichte. Auf der einen Seite Deutschland, das in Schutt und Asche liegt, zertrümmert zum vermeintlichen Wohle des Volkes, auf der anderen Seite Hollywood, glamourös, beeindruckend, aber von ähnlichem Größenwahn und Menschenverachtung befallen. 

Eine spannende Reise durch die Zeit an der Seite des kleinen Hundes und seiner Familie. Trotz Perspektive des Hundes sehr authentisch, da wirklich gut recherchiert und mit historisch belegten Fakten untermalt. Getragen von Ironie und Humor, der Tragödien der Vergangenheit und wer beim Showdown immer noch trockene Augen hat, sollte dringend das Gespräch mit einem Baum suchen (kleiner Sirius Insider).



Buchinfo:

KiWi (2016)
304 Seiten
Taschenbuch 9,99 €


Rezensionen: Copyright 2024, Nanni Eppner

09.02.24

Die Glücksschwindlerin | Nina Hundertschnee



 


Ach du heiliger Hashtag! Wilma Wonnebergs Leben ist das pure Chaos: Job verloren, Freund weg. Nicht einmal ihre spirituell-erleuchtete Freundin Sonne schafft es, die Chakren wieder in Balance zu bringen. Wilma macht sich über Sonnes esoterische Ratschläge eher lustig. Doch Karma is a bitch … Bei einem Treffen mit alten Freundinnen bringt ein kleiner Schwindel Wilma in große Not. Plötzlich ist sie Star-Influencerin Dalia Dolittle und kommt aus der Nummer so schnell nicht wieder raus. Stattdessen stolpert sie von einer Notlüge zur nächsten und landet schließlich als Nominierte bei den German Influencer Awards. Wird ihr Lügengerüst dort zusammenbrechen? Oder wird Wilma nicht nur den Mut zur Wahrheit, sondern auch das Glück in der Liebe finden?
(Text & Cover: Dotbooks; Foto: N. Eppner)

Wilma Wonneberg und ich haben ein paar Gemeinsamkeiten. Z.B. können wir beide nur schlecht Matheaufgaben lösen oder pünktlich sein, andere Dinge haben wir nicht gemein. Z.B.: das Schwindeln. Denn Wilma Wonneberg erschwindelt sich ein komplett neues Leben. 

Aus Frust darüber, dass Wilmas Leben nicht gerade prall läuft (und das ist noch untertrieben), erfindet sie sich kurzerhand ein Neues. Geht ja gar nicht, dass sie beim Klassentreffen beichten muss, dass sie gerade sowohl den Job, als auch den Freund verloren hat. Ein Leben als Influencerin. Das wäre doch was! Und wie sollen ihre alten Freundinnen, die ja auch nicht unbedingt der Generation Instagram angehören, schon merken, dass Dalia Dolittle, die sich in den Sozialen Netzwerken nicht zu erkennen ist, gar nicht Wilma Wonneberg ist? Es kommt wie es kommen muss: Wilma verstrickt sich immer mehr in ihre Lügen. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sie sich nichts sehnlicher wünscht, als wieder zurück zukehren. Wenn da nicht mal ein Mann im Spiel ist...

Auch Autorin Nina Hundertschnee und ich haben etwas gemein und das ist unser Sinn für Humor. Konnte ich es längst bei ihren, in unserer Familie sehr beliebten Kinderbüchern bemerken, wurde es mir von "Die Glücksschwindlerin" noch mal bestätigt. Ich kann sehr gut über Sarkasmus und Übertreibungen lachen (vielleicht sollte ich mal eine Karmareinigung bei Chakrenmeisterin Sonne buchen, wenn mich der Alltag mal wieder allzu verdrießlich werden lässt) und fühle mich von Nina köstlich unterhalten. Trotzdem ist die Geschichte nicht zu 100% meins. Ich mag nicht mehr so gerne über tollpatschige Frauen, die sich daran orientieren, wie sie ihre Außenwirkung auf andere optimieren können und wie sie möglichst schnell einen tollen Typen angeln, lesen. Da wünsche ich mir Wilma, die viel Potential hat, moderner, mutiger, vielleicht auch ein bisschen rotziger.

Wer einen Humorvollen, locker leichten und unterhaltsamen Roman sucht, der ist bei Nina Hundertschnee und "Die Glücksschwindlerin" jedoch goldrichtig.



Buchinfo:

Saga Egmont (2023)
259 Seiten
Taschenbuch 12,99 €


Rezensionen: 2024, Nanni Eppner


13.11.23

24 Wege nach Hause | Jenny Fagerlund (Ü: Alina Becker)





Mitten in einem Schneesturm kommen Petra und ihre elfjährige Nichte Charlie in Nyponviken an, einem kleinen Dorf im südschwedischen Schonen. Ihr Leben in Stockholm haben sie hinter sich gelassen. Nach dem Tod von Petras Schwester, Charlies Mutter, brauchen sie dringend einen Neuanfang. In dem Ort gibt es einen Hof mit kleiner Gärtnerei, wo sie hoffen, Zuflucht zu finden. Viveca, die Eigentümerin, empfängt die beiden mit offenen Armen und bietet Petra eine Stelle an. Eines Morgens steht ein mysteriöser Adventskalender vor ihrer Tür. Er enthält eine Geschichte – über das Dorf und die ehemals dort ansässige Künstlerin Lilly. Jedes Türchen enthüllt ein neues Detail aus ihrem Leben und weist außerdem den Weg zu einem besonderen Ort in Nyponviken. Petra erkennt bald, dass der Kalender noch viel mehr zu erzählen hat. Unterdessen taucht auf einmal ihr Ex-Freund Nick wieder auf und stellt alles auf den Kopf …
(Text & Cover: DuMont; Foto: N. Eppner)

"24 Wege nach Hause" ist für mich die perfekte Einstimmung in die Vorvorweihnachtszeit. Die Geschichte spielt im Dezember, ist nicht zu weihnachtlich, aber gemütlich und anrührend, emotional bewegend und Hoffnung versprechend - ideal für den dunklen November und die Vorfreude auf den Lichtbringenden Dezember.

Es ist November, als Petra in Stockholm alle Zelte abbricht und gemeinsam mit ihrer Nichte Charlie ins schwedische Dorf Nyponviken zieht. Dort gibt es eine Wohnung, die laut dem Nachlass der Eltern ein Zufluchtsort für Petra sein könnte. Ein Rettungsanker in einer schwierigen Zeit. Petras Schwester Alice, die Mutter von Charlie ist vor kurzem verstorben. Wund und verloren treffen sie in Nyponviken an, wo sie freundlich empfangen werden.

Am 1. Dezember liegt ein Adventskalender vor Petras Tür. Gestaltet von Lilly, einer jung verstorbenen Künstlerin aus Nyponviken. Es gibt keinen Hinweis darauf wer den Adventskalender, der vom Tourismusverband herausgegeben wurde, vor Petras Tür gelegt haben könnte. Hinter jedem Türchen steckt ein Stück von Lillys Lebensgeschichte, die sich auch als Liebesgeschichte entpuppt. Wird Petra Lillys Geheimnis aufdecken können?

Wie wichtig ist es den eigenen Träumen zu folgen? Lillys Geschichte begleitet Petra auf einer Reise zu sich selbst. Einer Reise, auf der sie sich mit ihrer Trauer auseinandersetzt und mit dem was Heimat und Glück eigentlich bedeuten. Ist das eine ohne das andere möglich? 

"24 Wege nach Hause" hat mich sehr berührt. Weil ich es kenne sich mit dem Verlust eines geliebten Menschen auseinanderzusetzen und mit welchen Ängsten, welcher Wut und welcher Traurigkeit dies einhergeht. Jenny Fagerlund hat diesen Prozess sehr authentisch dargestellt, auf eine Art und Weise, die Trost spenden kann und mich zu Tränen gerührt hat.

Neben Trauer und Verlust geht es aber auch um die Suche nach dem Glück. Darum, dass es im Ankommen ebenso stecken kann wie in der Erfüllung eines Traumes und in Menschen, die uns nahestehen, die füreinander da sind. Welch unterschiedliche Facetten Freundschaft haben kann und wieviel Unterstützung in der Widerstandskraft einer Freundschaft stecken kann, erfährt Petra in Nyponviken.

Jenny Fagerlunds Erzählstil hat durch eine klare Sprache und eine sanfte, zugewandte Art die Leser*innen durch die Geschichte zu führen eine sehr emotionale Wirkung auf mich. Ich habe vermutlich zwei Kapitel lang geweint. Vor Rührung, vor Mitgefühl, weil ich mich sehr verbunden fühle mit Petra, ihrer Geschichte, ihren Herausforderungen und ihrer Natur damit umzugehen. Die ganze Atmosphäre, die Fagerlund geschaffen hat, ist voller Herzlichkeit, Hoffnung und Zusammenhalt.

Eine wundervolle Geschichte, die ich von Herzen für die Vorweihnachtszeit empfehle.


Buchinfo:

352 Seiten
Hardcover 18,00 €

Rezensionen: 2023, Nanni Eppner


06.11.23

Perlenbach | Anna-Maria Caspari



 

Monschau, Ende des 19. Jahrhunderts: In der Tuchmacherstadt kreuzen sich die Wege von Wilhelm, Jacob und Luise, die schon als Kinder der gemeinsame Wunsch verbindet, den strengen Normen und Regeln ihrer Zeit zu entfliehen. Luise will Ärztin werden, Jacob träumt von einem ungebundenen Leben fernab der Fabrik seines Vaters, und der Bauernsohn Wilhelm will der Enge und Armut seines Heimatdorfes Wollseifen entfliehen. Zunächst scheint alles möglich, doch im ausgehenden Jahrhundert ist nur wenig Raum für individuelle Lebensentwürfe, vor allem wenn Liebe im Spiel ist. Auf einmal ist die Freundschaft der drei in Gefahr, und nicht nur Wilhelms Weg nimmt eine völlig andere Richtung als gewünscht …
(Text & Cover: Ullstein; Foto: N. Eppner)

"Perlenbach" ist der Nachfolger des historischen Romans "Ginsterhöhe", der Inhalt aber chronologisch vor der Geschichte aus "Ginsterhöhe" angesiedelt. Könnte ich es nochmal entscheiden, würde ich die Bücher auch lieber in dieser Reihenfolge lesen. Sie sind aber auch gut unabhängig voneinander lesbar.

Wie "Ginsterhöhe" auch, hat mir "Perlenbach" sehr gut gefallen. Vielleicht sogar noch ein bisschen besser. Die Geschichte der Freundschaft zwischen den ungleichen Protagonisten, ihre Höhen und Tiefen, der Druck der Gesellschaft dieser Zeit, Ansprüche, Wünsche, Hoffnungen, die sich nicht immer mit dem decken, was möglich ist.

Wilhelm lebt auf einem Bauernhof, auf dem es zu viele Kinder für zu wenig Geld und zu wenig Essen gibt. Sein Vater ist gewalttätig und cholerisch, engstirnig und verbohrt. Die Wünsche der Kinder interessieren ihn nicht. Ihm ist nur wichtig, dass der Hof weiter besteht und bewirtschaftet wird. Als Wilhelm den Wunsch äußert eine Ausbildung in einer Fabrik zu beginnen, der Fabrik der Familie seines Freundes Jacob, stößt er beim Vater damit auf großen Widerstand.

Jacob hingegen möchte der Fabrik entfliehen. Der Last des Erben. Er träumt vom Reisen, von Freiheit und einem Leben, das nun gar nicht einer konservativen Fabrikantenfamilie entspricht.

Luise will Ärztin werden. Ein Beruf, dem Ende des 19. Jahrhunderts ausschließlich Männer nachgehen. Ein Kampf gegen Konventionen und Vorurteile. Ist Luises Dickschädel, ihr Ehrgeiz und ihr Durchsetzungsvermögen stark genug, um es trotzdem zu schaffen?

Wieder einmal hat Anna-Maria Caspari sehr gut recherchiert und skizziert detailgetreu die verschiedenen Gesellschaftsstrukturen und Schubladen des 19. Jahrhunderts. Die Enge der Bauernfamilien und deren teils wirtschaftliche Notlage, die konventionellen Ansichten der oberen Mittelschicht, die Diskriminierung der Frauen, die als mehr oder weniger notwendiges Beiwerk, aber nicht als selbstständige Person angesehen werden und von Casparis Protagonistin Luise gehörig Gegenwind bekommen. 

Eine kleine Kritik ist die Stereotypisierung einiger Figuren, die aber vielleicht auch daher rührt, dass Caspari nun mal versucht die Lebensmodelle des 19. Jahrhunderts darzustellen. Dafür bedient sie sich sehr klassischer Vorbilder. 

Trotzdem gelingt es ihr den Figuren Sympathien, sowie Antipathien und Lebendigkeit auf den Leib zu schreiben, sowie Erlebnisse und Schicksalsschläge, die "Perlenbach" zu einem spannenden Roman werden lassen, der mir einen guten Einblick verschafft hat, wie das Leben im 19. Jahrhundert abgelaufen sein muss. 

Caspari schreibt auch hier wieder ein Nachwort, in dem sie historische Fakten zum Roman erklärt, was ich als absolute Bereicherung empfinde und sehr gerne lese. Außerdem mag ich die Gestaltung der beiden Eifelromane sehr gerne.

Wer gerne literarisch durch die Zeit reist, um auch etwas über die Vergangenheit zu lernen, kann mit den Büchern von Anna-Maria Caspari definitiv nichts falsch machen und bekommt zudem noch spannende Lesestunden hinzu.


Buchinfo:


384 Seiten
Paperback 16,99 €


Rezensionen: 2023, Nanni Eppner

03.11.23

Das leise Platzen unserer Träume | Eva Lohmann


Buch "Das leise Platzen unserer Träume"

 

Ein Haus auf dem Land. Das hast du dir immer gewünscht, Jule. Dazu ein wilder Garten, durch den eure Kinder rennen. So hast du dir das Glück vorgestellt. Doch die Kinder sind nie gekommen. Und dein Mann hat jetzt eine Affäre in der Stadt. Ihr Name ist Hellen, und Hellen denkt viel an dich. Vielleicht ein bisschen zu viel. Oft fragt sie sich, warum du und dein Mann noch immer zusammen seid. Wie zwei Menschen es so lange miteinander aushalten können, wenn ihre gemeinsamen Träume doch längst geplatzt sind. Aber von alldem hast du keine Ahnung, Jule. Du weißt nicht von Hellen und nicht von ihren Fragen. Noch nicht. Noch sitzt du da, in deinem hübschen Garten, und überlegst, ob das, was du hast, vielleicht doch reichen könnte, um glücklich zu sein.
(Text & Cover: Eisele Verlag, Foto: N. Eppner)

Das leise Platzen unserer Träume ist eine besondere Geschichte, die ich so nicht hinter der Beschreibung, dass zwei Frauen sich einen Mann teilen, erwartet hätte. Und obwohl David die Schnittstelle zwischen den beiden Frauen ist, ist er gar nicht so wichtig. Weder für den Verlauf der Geschichte, noch fürs Leben. Eva Lohmann schreibt sich tief unter meine Haut. Schaut in die Schatten, in die Tiefe, ehrlich, roh, verletzlich und verständnisvoll. Fein, genau wie ich es mag.

Jule und Hellen, zwei Frauen mit unterschiedlichen Lebensweg und Träumen. Jule, mit David verheiratet, auf dem Land lebend, wo sie sich den Traum eines großen Hauses mit Garten erfüllt und sich doch nicht so erfüllt fühlt, wie sie es gehofft hatte. Etwas fehlt ihr. Ein Kind hat sie sich gewünscht und David auch. Doch jetzt ist einfach Stille zwischen ihnen, die kurz von einer Katze und dann wieder von nichts gefüllt wird.

Hellen lebt in der Stadt. Sie hat Zwillinge, auf die sie und ihr Mann lange gehofft haben und mit denen sie nun doch alleine dasteht. Sie schläft mit David. Wenn die Kinder auftauchen, muss er verschwinden. Sie führt, wie David, zwei Leben. In einem wird sie begehrt, im anderen ist sie müde, erschöpft, gequält von Ängsten und Strategien, um die Versorgung der Zwillinge zu gewährleisten.

In Gedanken spricht sie mit Jule. In Gedanken sind sie verbunden. Zwei Frauen, die ihren Träumen nachjagen und mit einer Realität konfrontiert wurden, die so nicht geplant war. Etwas, das vielmehr Verbindung schafft, als die Beziehung zum selben Mann. 

"Alles, was sie empfanden, war jenes Verständnis, das Menschen erst dann füreinander aufbringen können, wenn das Leben die eigenen Träume schon ein paarmal zerschossen hat." (S. 212)

Sie rührt mich sehr, diese Verbundenheit zwischen Frauen, die ich mir viel mehr wünsche im Leben. Verständnis und Zugewandtheit, statt Abneigung und Neid. Irgendwie sitzen wir im selben Boot mit unseren Wünschen, die mal von kränkelnden Strukturen, mal von Menschen, mal vom Schicksal zerschlagen werden. Es ist nicht leicht für uns mit all diesen Erwartungen, all den Tatsachen, denen wir uns beugen müssen.  

Und trotzdem kann es gut sein, wenn wir füreinander da sind. Viel mehr aufeinander achten. Nicht perfekt, aber okay. Und okay kann schon ganz schön glücklich machen.


Buchinfo:

224 Seiten
Hardcover 22,- €


Rezensionen + Fotos: Copyright 2023, Nanni Eppner