01.03.16

180 Grad Meer - Sarah Kuttner



Sarah Kuttner mag ich. Ich mag ihre MTV Sendungen, ihre Twitter Posts, ihren Debütroman „Mängelexemplar“ (den zweiten Roman „Wachstumsschmerz“ fand ich extrem öde), ihr Auftreten und ihre rotzige Ironie. Nun hat sie einen dritten Roman veröffentlicht. Mit Meer und Hund und einer Protagonistin, die aus einem ziemlich verkorksten Elternhaus stammt. Klingt nicht wirklich besonders oder groß, ist aber von erstaunlichem Sog. Kuttner plappert nicht nur drauf los. Sie hat was zu sagen.

Jules Leben kann einfach nicht in geraden Bahnen verlaufen, denn dank der Schattierung ihrer Kindheit hat es bereits in Schieflage begonnen. Mutter und Vater sind getrennt, Mutter kommt mit ihrem Leben nicht klar, ist aber meisterlich darin die Schuld auf Jule abzuwälzen, der Tochter ihre negativen Gefühle aufzudrücken. Besonders die Wut auf den Erzeuger und den Frust über die misslungene Erziehung. Irgendwann hat Jule so oft gehört, dass sie Schuld sei, dass sie sich tatsächlich schuldig fühlt. Frust gegen sich selbst baut sich auf. Frust, dem sie Luft machen muss. Z.B. durch Sex mit ihrem Chef. Ohne Gefühle, denn für Liebe und Geborgenheit hat sie ja ihren Freund Tim.

Und auch in Tim schlummert eigentlich Abneigung gegen Monika, denn Monika ist nicht nur eine arme Wurst, sondern eine arme Wurst, die ihre sechsjährige Tochter fest an der Hand hielt, als sie sich vor ein Taxi warf, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, eine arme Wurst zu sein. Jemand, der auch die anderen halbgaren Selbstmordversuche nicht ohne Kinderpublikum über die Bühne bringen konnte.“

Jule befindet sich in einer Spirale, die aus den Erwartungshaltungen der Eltern-Kind-Ebene entstanden sind, die von keiner Seite erfüllt werden können und zu Enttäuschungen führen. Die größte Enttäuschung ist Jule selbst. Das hat man ihr von frühen Kindesbeinen an so eingetrichtert und davon wegzukommen ist schwierig. Sie reitet sich immer tiefer hinein, in diese falsche Gefühlswelt, bis alles draufgeht. Ihr Alltag, ihre Beziehung, ihr Leben wie es bisher war. Ein Leben gefüllt mit Wut und Verachtung. Null Respekt für sich selbst. Ist es der große Knall, der ihr hilft den Dreh zu bekommen und von nun an besser zu leben? Besser mit sich selbst umzugehen?

Ein Besuch bei ihrem Bruder Jakob in England soll ihr Klarheit bringen. Einsicht. Vielleicht sogar Heilung. Was als Flucht beginnt ist Jules Möglichkeit ihr Schneckenhaus zu verlassen. Den schützenden Panzer, den sie in all den Jahren aus den Worten der Verachtung, dem aufladen aller Schuld, der fehlenden elterlichen Liebe, um sich herum aufgebaut hat. Negative Erfahrungen sind schon so sehr zu ihrem Alltag geworden, dass deren fehlen sie durcheinander wirbeln würde. Zu dem Zeitpunkt weiß sie noch nichts von der heilenden Wirkung eines Hundes und dem vom Meer ausgehenden Gefühl der Ruhe.

Ich habe schon wieder kein Ziel, aber ein bisschen Bock auf einen Weg.“

„180° Meer“ ist das Psychogramm einer jungen Frau, die ihr Leben lang mit Schuld und falschen Erwartungen gekämpft hat. Die von ihren Eltern regelrecht dazu benutzt wurde, damit diese all ihre negativen Gefühle auf ihr abladen konnten, um sich selbst nicht damit auseinander setzen zu müssen. Es zeigt, wie sehr wir in der Schublade leben, in die unsere Kindheit uns hinein gedrängt hat, beeinflusst durch die Liebe und Zuneigung unserer Eltern oder eben fehlen derselbigen.

Sarah Kuttner erzählt diese Geschichte in einer Leichtigkeit, die von Hoffnung spricht. Die vermittelt, dass es nicht notwendig ist in unseren Schubladen zu verharren, sondern die Möglichkeit besteht, diese zu verlassen. Dies hat mit verzeihen zu tun und dem Wunsch nach vorn zu blicken. Ich finde es erstaunlich wie gut sie dieses Psychogramm zeichnet, wie klar Ursprung und Verlauf dargestellt werden.

Aus diesem Gefühl konnte vermutlich nur Verachtung erwachsen, und das ist es eben, was aus all den Jahren übrig geblieben ist: Verachtung. Für mich, weil ich nie stark genug war, um auf meine eigene Persönlichkeit zu bestehen, und für ihn, weil er es zugelassen hat.“

Sprachlich bleibt sie sich treu. Ist direkt, ehrlich, haut raus, was sie denkt. Erzählt eine interessante Geschichte, ohne um den heißen Brei herum zu reden.

Und das Ende des Romans? Ja das ist so, wie es sein sollte. Glaubwürdig, echt, realistisch. Gibt Raum zum Denken und der Frage in welcher Schublade wir vielleicht schon viel zu lange verharren und wann wir uns zum letzten Mal etwas Gutes getan haben. Zeit mit Hund. Oder eine Reise zum Meer.

Buchinfo:


S.FISCHER (Januar 2016)
272 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
18,99 €


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2 Kommentare:

  1. Hey :)
    Ich habe es mir als Hörbuch ausgeliehen und freu mich schon es endlich hören zu können.
    Ich bin echt gespannt wie es mir gefallen wird.
    Liebe Grüße

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    Antworten
    1. Hey,
      als Hörbuch ist es sicher auch sehr schön :)
      Ich bin auch gespannt, wie es dir gefällt.
      Liebe Grüße
      Nanni

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